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Wattenwunderwelt

Der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer feiert 2025 seinen 40. Geburtstag. Er ist Naturerlebnis, UNESCO-Welterbe und einzigartiger Lebensraum. Ein Glück für alle, die dort jeden Tag arbeiten dürfen. Wir haben uns von einer Wattführerin, einem Biologen und einer Rangerin ein bisschen vorschwärmen lassen

Windstill muss es sein, schön warm und das Watt ordentlich trockengefallen. Dann, schwärmt Wattführerin Anke Dethlefsen, hört man es, dieses besondere Knistern: Die Schlickkrebse streifen Wasserbläschen von ihren Fühlern. Ein magisches Geräusch, eines, das Wattwandernde ein bisschen in die Knie zwingt. „Wer sich bückt, kann genauer hingucken und auch mal im grauen Matsch buddeln“, sagt die 57-Jährige. Klein wie Kinder werden. Und mindestens so neugierig. Staunen, wie die Watt-Expertin einen Seeringelwurm aus der dunklen Masse zieht, oder über Herzmuscheln, die sich mit pulsierenden Stößen in den schlammigen Grund graben.

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Wer sich bückt, kann genauer hingucken und auch mal im Matsch buddeln

Anke Dethlefsen

Das Watt ist eine Art Mega-City; jeder Quadratmeter bringt es auf bis zu 40.000 Schlickkrebse, 10.000 Wattschnecken und jede Menge Tierkollegen. Die Priele sind Kinderstuben für Schollen, Heringe, Seezungen und Garnelen. Pralles Gewimmel in einer Handvoll Schlick, Wohnraum für Millionen. „Und diese Weite!“, schwärmt Dethlefsen, die ihr Lieblingsterrain vor der Hamburger Hallig zwischen Husum und Dagebüll bei Wind und Wetter am liebsten barfuß betritt. „Wo kann man so was denn noch erleben?“

Der Mond zieht das Wasser von der Erde weg 

Willkommen im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, dem größten seiner Art zwischen Nordkap und Sizilien. Er gehört zum UNESCO-Weltnaturerbe wie die Serengeti, der Grand Canyon oder das Great Barrier Reef. Eine Welt der Wunder. Zweimal am Tag kommt das Wasser, zweimal geht es. Einatmen, ausatmen. Gibt es nicht nur im Yogakurs, sondern auch in der Watten-Wildnis. Taktgeber ist der Mond. Wie ein Magnet zieht er das Wasser von der Erde weg, schafft Flutberge und Ebbtäler. Voller Priele und Tiefs, Baljen, Piepen, Dybs und Seegatten, wie die Rinnen heißen, durch die das Wasser hinein- und wieder hinausfließt.

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Für Vögel sind die trockenfallenden Flächen ein gigantisches Gourmetrestaurant. Gerade recht, um sich im Herbst für die Reise in den Süden vollzufuttern und auf der Rückreise im Frühjahr aufzupäppeln. Auch für Rangerin Leonie Dittmann auf Föhr sind die tausenden Weißwangen- und Blässgänse, die Brachvögel, Alpenstrandläufer aus den arktischen Tundren, Kiebitze und Austernfischer ein Anblick, der ihr vor allem an ihrem Lieblingsplatz, der Godelniederung, immer wieder Gänsehaut beschert. Ein Stück Welt zu Gast in Schleswig-Holstein. Zehn bis zwölf Millionen Zugvögel im An- und Abflug – das macht achtmal mehr Starts und Landungen als auf dem Frankfurter Flughafen. Die 27-Jährige liebt dieses Spektakel, aber auch die Stille des Watts.

Ich empfinde es einfach als riesiges Glück, in dem einzigartigen Lebensraum arbeiten zu können. So vieles ist ja auch noch unerforscht, und immer gibt es etwas zu entdecken!

Leonie Dittmann
© Oliver Raatz
Die Rangerin: Leonie Dittmann sucht nach Kiebitzen, Blässgänsen und Austernfischern
© Oliver Raatz
Mäh-Schafe sorgen durch ihr Grasen für perfekt gepflegte Deiche
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Rastplatz : Bis zu zwölf Millionen Zugvögel machen jedes Jahr im Watt Station – hier vor der Insel Föhr
© Oliver Raatz
Schutzraum für die Natur: In den Brut- und Rastgebieten des Nationalparks finden Vögel Ruhe
Zugvögel im Anflug: Rangerin Leonie Dittmann beobachtet, wie der Himmel über Föhr zur Landebahn wird
© Oliver Raatz
Ein kleiner Star im Watt: Der Einsiedlerkrebs
© Oliver Raatz
Naturschutz zum Anfassen: Rangerin Leonie Dittmann erklärt die Besonderheiten der heimischen Tierwelt auf Föhr
eine Frau schaut durch ein Fernglas , während eine andere Frau steht neben ihr© Oliver Raatz
eine Frau schaut durch ein Fernglas , während eine andere Frau steht neben ihr

 

Sogar der Enzian blüht auf den Salzwiesen

Für die Salzwiesen bedeutet jede Flut ein Vollbad. Strandwegerich und Strandaster werden so zum würzigen Wildgemüse, und der fette Queller landet als natürliche Salzstange sowieso in mancher Salatschüssel. Ein sogenanntes Handsträusschen dürfen sich ja alle pflücken, solange sie nicht den Weg verlassen oder die Schutzzone 1 betreten. Strandaster und Halligflieder tauchen die Wiesen sommers in leuchtendes Lila, der Duft von Strandwermut betört die Nase. 

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„Viele Gäste sind außerdem völlig verblüfft, dass wir hier Enziangewächse haben“, erzählt Biologe Rainer Borcherding, 57. „Die verorten die meisten ja eher in den Alpen.“ Überrascht ist Borcherding allerdings manchmal auch selbst bei seinen Streifzügen über Strand, Dünen, Wiesen und Watt des Nationalparks. 

Letztes Jahr entdeckte ich in Dünentälern neue Vorkommen von Sumpfjohanneskraut und ein paar andere Pflänzchen, die fast als ausgestorben gelten

Rainer Borcherding

Newcomer aus der Ferne begrüßt er eher verhalten: die amerikanische Traubenkirsche, die japanische Wakame-Alge, Kaktusmoos aus Neuseeland. „Manche Samen hängen unter schmutzigen Zugvögelfüßen, andere werden durch Sturmfluten angespült, schwimmen im Ballastwasser großer Containerpötte oder wehen aus Ziergärten herüber. Pflanzen wie Strandwinde oder Strandwolfsmilch kannten wir früher nur aus dem Mittelmeerurlaub. Durch die Erwärmung sind sie jetzt hier.“ 

Eine Beobachtung, die auch die anderen Watt-Profis machen: Rangerin Leonie Dittmann bei ihren Touren durch den Spülsaum, Wattführerin Anke Dethlefsen beim Staken durch den Schlick. Für viele Tierchen ist der Norden der neue Süden.

Auch Delfine wurden hier schon gesichtet 

Seltsame Funde, fremde Kreaturen – es bleibt spannend an der schleswig-holsteinischen Westküste. Die typischen Strandwandernden staunen gerne mit: Leicht gebeugt sieht man sie am Wellensaum entlangschleichen, ihr Blick scannt den Sand, ihre Finger schnellen immer wieder nach einer Muschel oder einer Strandschnecke. Die nennt man hier nur Tinkeltuut – wir sind ja in Plattdeutsch-Land. Wer glaubt, Unbekanntes entdeckt zu haben, kann das in der App BeachExplorer melden, einer Bestimmungshilfe. Mondfische, Delfine und neuerdings auch Seepferdchen – alles schon da gewesen im Nationalpark. 

Das wirft Fragen auf. Die Leonie Dittmann nicht nur beim wöchentlichen „Schnack mit der Rangerin“ liebend gerne beantwortet. „Das Wattenmeer und die Nordseeküste sind für viele Leute ein Sehnsuchtsort“, weiß sie. „So was in der Ausprägung gibt es ja auch sonst nirgends.“

Auch Wattenmeer-Profi Borcherding lässt sich immer wieder verzaubern. Im letzten Jahr etwa saß er auf einer Aussichtsdüne auf Sylt, ein Gewitter dräute, ein Regenbogen wölbte sich über der Weite des Watts. „Plötzlich kam ein Schwarm Austernfischer durch den schwarzen Himmel.“ Ein Handy fürs Foto hatte er nicht dabei. Unvergesslich bleibt das Bild trotzdem. In seinem Kopf.

Alles zum Nationalpark Wattenmeer

Mehr Informationen über den Nationalpark Wattenmeer finden Sie hier

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