An der Kieler Förde treffen sich jeden Samstag Menschen, die nichts Schöneres kennen, als sich ins Wasser zu stürzen. Ganz gleich, ob im März, Juli oder Oktober
Lukas Zarling, 33, ist Winterschwimmer. Er liebt es, sich auch dann ins Wasser zu stürzen, wenn der Sommer im echten Norden längst vorbei ist und sich Luft- und Wassertemperatur in Richtung null Grad bewegen. Mit seiner Begeisterung ist der Kieler Ingenieur nicht allein. Immer mehr Menschen praktizieren das Winterschwimmen oder Eisbaden, auch weil – wie die Medizin weiß – die Kälte den Kreislauf stärkt, die Durchblutung fördert und das Immunsystem anregt. Lukas Begeisterung begann vor ein paar Jahren in San Francisco, wo er durch den winterkalten Pazifik schwamm. „Dabei bin ich ja eigentlich ein Warmduscher“, lacht der 1,90-Meter-Mann, der seine Leidenschaft nun in seiner Heimat Schleswig-Holstein auslebt, wo es mit Nord- und Ostsee sowie zahlreichen Seen jede Menge Möglichkeiten gibt. Doch als echte Kieler Sprotte springt Lukas am liebsten in die Förde. Und das nach Möglichkeit täglich.
Eisbaden belebt mich total. Und es baut Stress ab.
Weil heute Samstag ist, hat sich am Badesteg bei der Reventlouwiese inzwischen eine ganze Gruppe von Winterschwimm-Fans versammelt, ungefähr 15 Leute zwischen 25 und 65 Jahren, die rasch ihre Klamotten ablegen und in Badekleidung schlüpfen. Manche ziehen Wollmützen auf, denn der Kopf kühlt im kalten Wasser am schnellsten aus.
Doch plötzlich geht ein Raunen durch die Gruppe: „Schaut mal! Da, bei der Boje!“ Vor der Badestelle gucken zwei Schweinswale aus dem Wasser. So rasch, wie sie aufgetaucht sind, sind sie auch wieder verschwunden. Doch der Anblick der kleinen Meeressäuger hat Eindruck hinterlassen. Jetzt schnell selbst ins Wasser!
Am Steggeländer ist ein QR-Code angebracht, über den sich Lukas über die Wassertemperatur informiert. 12,6 Grad Celsius. „Die goldene Regel beim Winterbaden lautet: eine Minute pro Grad über null. Wir dürfen also zwölf Minuten drinbleiben“, sagt ein anderer aus der Gruppe. Als die Ersten ins Wasser steigen, ist scharfes Einatmen zu vernehmen. „Man muss einfach akzeptieren, dass es kalt ist“, meint Lukas, bevor er selbst über die Leiter mutig in die herbstkalte Ostsee steigt.
Nach ein paar Minuten wirkt die Szenerie fast wie ein Badetag im Sommer. Die Clique hat Spaß und lacht, einige tauchen kurz ab. Lukas schaut auf seine wasserdichte Uhr. Zwölf Minuten sind um, also geht es rasch wieder an Land, wo sich alle abtrocknen, während ein Labrador schwanzwedelnd zusieht. „Der gehört zu Moby“, sagt eine Schwimmerin und deutet auf die kultige Fischbude um die Ecke. „Da trinken wir gern unseren Morgenkaffee.“
Doch erst mal legt Lukas mit ein paar Freunden einen Saunagang in der „Rune Sauna” ein, die ein paar Meter entfernt in einer Holzhütte auf einer Wiese steht. Danach gibt es bei Moby unter Heizstrahlern heißen Punsch und Tee. Lukas erklärt, warum ihn das Winterschwimmen so glücklich macht: „Es belebt mich total und baut Stress ab.“ Andere erzählen, dass das Schwimmen mentale Stärke aufbaue. Während rundum Geschichten zum Besten gegeben werden, die vom Eisbaden bis zu heißen Quellen in fernen Ländern reichen, hören die normalen Café-Gäste mit großen Augen zu. Wahrscheinlich bedauern sie, keine Badesachen dabeizuhaben. Aber vielleicht sind sie ja nächsten Samstag selbst mit von der Partie. Die Schweinswale hätten bestimmt ihre Freude.